Viola von Scarpatetti «Es ist wie ein Sprung in die Luft»

Musikerin, Filmemacherin und Schauspielerin: Viola von Scarpatetti folgt ihrer Intuition und inspiriert in ihrem Schaffen. Auf ihrem Debütalbum erzählt sie Geschichten über Begegnungen und Orten, die sie begleiten. Im Gespräch mit Viola von Scarpatetti reden wir über Träume, warum wir diese verfolgen sollten, über Heimat und zu Hause sein. 

Viola von Scarpatetti an einem Konzert
Viola von Scarpatetti an ihrem Konzert am Songbird Festival in Davos. © Viola von Scarpatetti

Geboren bei Basel, aufgewachsen in Fribourg und Südfrankreich: Viola von Scarpatetti ist von klein auf an verschiedenen Orten unterwegs gewesen. Als Jugendliche hat sie gerappt und war in einem Zirkus aktiv, später studierte Viola an der European Film Actor School in Zürich. Als Schauspielerin ist sie bekannt für ihre Auftritte in einigen Schweizer Filmen und Serien, wie zum Beispiel in «Heimatland». Damit nicht genug: Nach einigen Musikauftritten hat Viola 2022 auch ihr Debütalbum «Fais un pont» veröffentlicht.

Viola, du bist Schauspielerin, Musikerin, Filmemacherin und viel unterwegs. Bist du rastlos?

(lacht) Ich würde sagen, nein. Aber ich mache wohl nicht so gerne Ferien. Die dichte Aktivität meiner Tätigkeiten erlaubt mir aber eine gewisse Freiheit, so dass ich einmal pro Woche komplett frei habe und nichts machen muss. Dass das wichtig ist, habe ich jetzt mit Mitte 30 gelernt. Auch mal nichts tun, finde ich wichtig, damit die Freude am Tun erhalten bleibt.

Kannst du mit deinen verschiedenen Tätigkeiten auch deinen unterschiedlichen Interessen nachgehen, ohne dass du dich nur auf eine konzentrieren musst?

Nach meiner Schulzeit war mir klar, dass ich Filmschauspiel studieren werde. Mit der Zeit sind weitere Dinge hinzugekommen. Ich hatte ein starkes Bedürfnis, nach dem Stift zu greifen, zu schreiben und zu filmen. Ich musste viel lernen und habe auf dem Weg viel Müll kreiert.

Mit dem Film Fly-in Fly-out habe ich ein grösseres Projekt realisiert, bei dem Musik, Film und Schauspiel zusammengekommen sind. Das kam mir sehr ungezwungen auf mich zu. Aber ich habe mir selber die Frage gestellt, ob das glaubhaft ist und ob ich so weitermachen kann. Allerdings hat sich der Drang nach diesen vielen Dingen den Zweifel besiegt. Man darf sich nicht zu sehr stressen und die Bereiche nicht zu stark unterteilen. Im Chaos ist es dann geordnet, was ich denke, am besten ist.

Was treibt dich denn an?

Das habe ich mich schon oft gefragt. Es ist fast schon eine spirituelle Frage. Mein Gefühl ist, dass hier etwas ist, das mich immer begleitet und mir den Mut gibt, Dinge zu tun, auch wenn ich Fehler mache. Ich habe immer das Gefühl, dass es richtig ist, was ich mache. Dieses Gefühl hat sicher dazu beigetragen, dass ich so lustvoll an Themen herangehen kann.

Wie sieht ein typischer Tag bei dir aus?

Mein Tagesablauf ist sehr unkonventionell – um ehrlich zu sein, habe ich gar keinen fixen Ablauf. Derzeit bin ich auf Tour und ständig in Bewegung. Jeder Tag bringt etwas Neues, an das muss man sich erst gewöhnen, sodass es keine Furcht auslöst. Dennoch bleibt der Ablauf eines Konzerts immer gleich: Ankunft, Ausladen, Soundcheck, Lounge, Konzert, Verkauf von Fanartikeln und dann weiter zur nächsten Station. Es ist beruhigend zu wissen, dass ich, auch wenn ich auf Tour bin, stets einen Ort habe, an den ich zurückkehren kann und ich genau weiss, an wen ich mich bei Fragen wenden kann. Allerdings lebe ich nach einem ganz anderen Rhythmus als die meisten Menschen in meinem Umfeld. Sie machen oft scherzhaft darauf aufmerksam, dass ich am Morgen im Vergleich zu den meisten Menschen sehr spät aufstehe. Aber das liegt daran, dass ich oft bis 3 Uhr morgens arbeite.

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Auf deinem Debütalbum «Fais un pont» erzählst du die Geschichte von Momo, einer Reise durch die Wüste und von einer Zugfahrt nach Monbijou, einem Bezirk in der Stadt Bern. Was sind deine Inspirationen für deine Chansons?

Einfach gesagt, sind es gerade die einfachen Alltagsgesten, die mir ins Auge fallen. Die Details in der Bar, wie die flackernde Lampe oder ein Gefühl bei einer Begegnung. «Fais un pont» ist ein Werk, das in einem Fluss entstanden ist. Wenn du in diesem kreativen Flow bist, fühlst du dich oft wie blind unterwegs, weil du intuitiv weisst, was zu tun ist. Ich habe auch Material aus meiner Zeit in Fribourg wiederentdeckt. Aus meinen alten Raps habe ich Elemente herausgenommen und in neue Songs verwandelt. Dabei liess ich mich auch von anderen Musikern inspirieren, die ich sehr schätze.

Welche Themen beschäftigt dich gerade persönlich?

Obwohl es abgedroschen wirken mag, meine ich es ernst: Die Frage nach dem Sinn des Seins ist momentan ein zentrales Thema für mich. Ich stelle mir aktuell Fragen wie: Warum bin ich hier? Wem bin ich dienlich? Welche Art von Mensch bin ich? Welche Menschen sind in meinem Umfeld?

Es bleibt ungewiss, ob diese persönliche Reflexion ihren Platz auf meinem kommenden Album «Cœur de tigre», an dem ich derzeit arbeite, finden wird. Der kreative Prozess erfordert viel Zeit, und ich habe noch nicht alle Bausteine dafür beisammen. Langsam sehe ich klarer, doch ich muss mich auch überraschen lassen und offen für neue Inspirationen bleiben.

Du wohnst in der Schweiz und in Südfrankreich und reist viel um die Welt. Hast du einen Ort, den du zu Hause nennst?

Meine zu Hause im eigentlichen Sinne ist das Haus in Südfrankreich – dem Ort meiner Kindheit, an dem ich auch gegenwärtig viel Zeit verbringe. Hier lebt auch meine kleine Katze.

In der Schweiz habe ich in einem Familienhaus des Vereins Zitrone meine Basis gefunden. Dennoch bin ich ständig unterwegs und führe immer eine kleine Tasche mit mir. So habe ich zwar kein Zuhause im klassischen Sinne, aber unabhängig davon kann ich mich darauf verlassen, stets ein Dach über dem Kopf zu haben.

Was verstehst du denn unter dem Gefühl zu Hause zu sein?

Für mich ist das Konzept von «Zuhause» eng mit menschlichen Beziehungen und Begegnungen verknüpft, die mir das Gefühl geben, mit meinen persönlichen Fragen und Gedanken nicht ganz allein zu sein. Das verleiht mir eine besondere Art von Wärme. «Zuhause» assoziiere ich mit einem warmen und sicheren Ort, vergleichbar mit einem Ofen oder Feuer, an dem man sich am Ende des Tages erholen kann. Solch einen Ort findet man nicht immer und es kann Zeiten im Leben geben, wo er fehlt. Aber die Gewissheit bleibt, dass er eines Tages wieder da sein wird. So habe ich zwar gerade keinen Ort, an dem ich mir vorstellen kann, eine Familie zu gründen, aber ich habe eine Person gefunden, mit der ich meine eigene, persönliche Heimat schaffen kann.

Bedeutet Heimat in diesem Kontext eher ein inneres Gefühl als eine tatsächliche Verbindung zu einem bestimmten Ort?

Ja, das ist wirklich faszinierend. Manchmal kann man einen Ort besuchen, den man einst gut kannte, doch nun hat er keinerlei Bedeutung mehr für einen. Andererseits kann man mit einer bestimmten Person zusammen sein und fühlt sich sofort wie zu Hause. Es ist jedoch immer wichtig zu bedenken, wie viel man von anderen erwartet. Nach einem Konzert zum Beispiel bin ich voller Energie und Adrenalin, während meine Begleitung in dieser Zeit ein Buch liest oder einen Spaziergang durch die Altstadt gemacht hat. Ich bin mir nicht sicher, ob das für sie erfüllend war, aber das ist nicht meine Entscheidung zu treffen.

Du scheinst deinen Träumen zu folgen, das ist sehr inspirierend.

Träume empfinde ich immer als eine Art von Informationsquelle, auch wenn sie manchmal Ängste widerspiegeln können. Wenn ich meinen Träumen folge, fühlt es sich an, als würde ich einen Sprung in die Luft wagen, und muss dann einfach abwarten, wo ich lande. Vielleicht lande ich wieder da, wo ich angefangen habe, oder vielleicht an einem ganz anderen Ort. Es ist immer eine Mischung aus beidem. Diese Erfahrungen zu sammeln, ist aufregend, daher folge ich meinen Träumen und stecke die Menschen in meiner Umgebung mit meiner Begeisterung an. Aber das Risiko, das mit der Verwirklichung von Träumen einhergeht, variiert von Person zu Person. Wir alle funktionieren auf unterschiedliche Weise und manchmal bin ich auch vorsichtig und ein Schisshaas.

Machst du es dann trotzdem oder hast du auch schon Sachen nicht gemacht?

Das hängt stark von der Situation ab. Manchmal sind es andere, die mir helfen, indem sie mich ermutigen, meine Pläne umzusetzen und mir versichern, dass es gar nicht so kompliziert ist. Auf diese Weise unterstützen wir uns gegenseitig dabei, unseren Wünschen näher zu kommen. Alleine ist das kaum machbar. Wenn ich also etwas trotz meiner Ängste erreicht habe, dann war es dank der Hilfe von jemandem, der es geschafft hat, meine Angst zu lindern.

Du hast schon vieles erlebt und gelernt. Was hättest du gerne früher gewusst?

Ich wünschte, ich hätte früher erkannt, dass positive Ereignisse eintreten können und dass es gut ausgehen kann. Gleichzeitig hätte ich auch gerne früher verstanden, dass nicht alle Menschen gute Absichten haben oder Positives bewirken wollen. Möglicherweise sind diese beiden Erkenntnisse miteinander verbunden: Nur weil man selbst das Gute anstrebt, bedeutet das nicht, dass dies von allen geteilt wird.

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